Berlin Neukoelln

Treffpunkt Schönleinstrasse

Neukoelln

Eine Neukölln-Tour mit about curiosity!? Da schließe ich mich doch gerne als drittes Rad am Wagen an. Treffpunkt Schönleinstraße? Wer hätte gedacht, dass das mal ein Ausgangspunkt sein könnte, neues Berlin zu entdecken.

Streetphotography

Berlin ist vermutlich die einzige Stadt, die auch ein Eingeborener in den letzten 25 Jahren immer wieder neu entdecken, in der er sogar vorher nie gesehene Orte finden konnte. Für Westberliner galt es nach dem Mauerfall, den Ostteil der Stadt, die Bezirke Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain zu erkunden. Pankow oder Weißensee waren für die meisten sowieso terra incognita. Nachdem zu Beginn kein Café, kein Restaurant, geschweige denn ein irgendwie anziehendes Geschäft zu finden war, konnte der aufgeregte Westler in den folgenden Jahren fast monatlich die Veränderungen in den neugewonnenen Teilen der Stadt verfolgen. Man fühlte sich beständig als Tourist in der eigenen Stadt. Den ehemaligen Ostberlinern ging es sicher im alten Westen ähnlich, wenn der sich auch nicht so dramatisch wandelte. Das Motto lautete zwei Jahrzehnte lang „go east“. Jetzt dreht sich der Wind. Der Osten ist saniert, Nachholbedarf ist im Westen entstanden. Das Comeback des Kurfürstendamms ist schon eine Weile in aller Munde, genauso wie die Kreuzkölln genannte Gegend, an der die beiden ehemaligen Arbeiterbezirke Kreuzberg und Neukölln aneinandergrenzen.

Neukoelln

Während Kreuzberg zumindest im sogenannten SO36 und rund um das Maybachufer schon eine ganze Weile als hip gilt, ist die Entwicklung von Neukölln für einen Westler, in dessen Jugend noch die Seitenstraßen des Kurfürstendamms Hot Spots waren, einigermaßen überraschend. Auch Neukölln ist groß und besteht aus den fünf Ortsteilen Buckow, Gropiusstadt, Neukölln, Rudow und Britz. Von Neukölln-Neukölln ist hier die Rede. Man braucht im Grunde internationalen Besuch, um zu lernen, die Gegend rund um Karl-Marx-Straße und Sonnenallee mit neuen Augen zu sehen. Neukölln war nie auf Berlinerische Art „arm aber sexy“ oder auf anziehende Art „rough”, sondern einfach nur heruntergekommen. Wer hier wohnte, dem blieb nichts anderes übrig. Man musste kein Snob sein, um Neukölln als inakzeptabel zu empfinden. Nun ja, die Zeiten ändern sich. Neukölln ist jetzt vielleicht der Ort, wo sich das neue Berlin am deutlichsten herauskristallisiert: international, experimentell und multikulturell. In Neukölln wohnen Spanier und Italienerinnen, Schweden und Franzosen, Türkinnen mal mit, mal ohne Kopftuch und auch Deutsche, Alteingesessene und Zugezogene. Natürlich trifft auf Neukölln genau zu, was man als Gentrifizierung bezeichnet. Trotzdem, wer sich vom U-Bahnhof Südstern oder auch Schönleinstraße in Richtung Weser-, Pflüger-, Sander-, Reuter- oder Friedelstraße aufmacht, erlebt ein Stadtgefühl, das sich wesentlich vom aufgeregten Hipstergetue unterscheidet, das Mitte so schnell erfasst hat, oder der biedermeierlichen schwäbischen Gediegenheit, die den Prenzlauer Berg schnell übermannt hat.

20160402-neukoelln-263

Hier geht es entspannter und dabei überhaupt nicht weniger gutaussehend zu. Manches ist improvisiert, manches perfekt, manches „in progress“. In den kleinen Geschäften und Cafés, die hier in kurzer Zeit entstanden sind, scheint eine neue Lässigkeit zu regieren, die, so scheint mir, etwas damit zu tun hat, dass man Geschäfte macht, um zu leben, auch gut zu leben, aber nicht – um es plakativ zu sagen – reich zu werden.

20160402-neukoelln-013Vielleicht ist es mediterrane Lebensart, die vor allem dank der Italiener und Spanier, die hier ein neues Zuhause suchen, eingezogen ist. Der wirtschaftlichen Krise im eigenen Land entflohen, siedeln sie sich ausgerechnet in einer Stadt und Gegend an, in der die beruflichen Perspektiven alles andere als aussichtsreich sind. Aber hier lässt sich zwischen Eckkneipen und Trödlern noch etwas gestalten. Und zwar mit Style, der nicht zwingend etwas mit Geld und Glamour zu tun hat. Trotz der Earl-Grey-Kekse und der Designer-Accessoires, die hier selbstverständlich auch angeboten werden, wirkt das Treiben nicht getrieben. NeukoellnNeukölln ist altes brüchiges Berlin mit mediterranem Flair. Neukölln liegt im Süden Berlins, und es gelingt hier, aus einem heruntergekommen Bezirk eine Gegend zu machen, die Charme hat, weil Schönes, Altes, Neues, Abgeblättertes nebeneinandersteht und stehen bleibt, auch wenn renoviert wurde. Hier trinkt man gerne einen Aperitivo, isst Tapas oder bestellt den griechischen Vorspeisenteller. Dass man warten muss, offensichtlich keine Profis am Werk sind, macht es fast noch besser. Neukölln ist genau das, was Berliner Lebensgefühl ausmacht – auf neuem Niveau: Entschleunigte Großstadt, leben und leben lassen. In einem kleinen Café, geführt von zwei griechischen Lesbierinnen, zeigen eine Mexikanerin und ein Italiener ihre neue Porzellanserie, in der Hinterstube eines merkwürdig verwunschenen Cafés stellt eine Künstlerin ihre Makramee-Arbeiten aus, in der Wohnsiedlung wenige Meter entfernt wird türkische Hochzeit gefeiert. Hier wird Berlin neu definiert, hier wird berlinert und französisch parliert, spanisch und dänische Dialoge mischen sich am Nachbartisch. Nie hätte ich gedacht, dass ich Neukölln einmal entdecken möchte und hier im ganz alten Westen so etwas wie einen zweiten Frühling erlebe und die Riviera Berlins entdecke – ganz ohne Meer.

20160402-neukoelln-22420160402-neukoelln-297 20160402-neukoelln-132-2Trödelladen
Neukoelln