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Der Baedeker

„wahren genuß von einer reise durch die gesamte pfalz hat nur der fußwanderer. er braucht nicht zu befürchten, hier jenem anmaßenden, übersättigten reisepöbel bei jedem schritte zu begegnen, der in dem engeren rheintal vermöge des leichten dampf-verkehrs das land heuschreckenartig überfluthet, das anziehendste widerwärtig zu machen geeignet ist, und in allerlei zungen bekundet, daß er nichts gelernt und nichts vergessen hat.“ – … so karl baedeker in der 5. auflage seines handbuchs „rheinreise“. dabei war der erfinder des modernen reiseführers mit schuld daran, dass sich hier der „reisepöbel“ tummelte…

der erste baedeker

karl baedeker wurde heute vor 219 jahren in essen in einer alten buchdrucker- und verleger-dynastie geboren, gründete mit 26 in koblenz seine eigene verlagsbuchhandlung, kaufte einen verlag und gab 1835 das handbuch „rheinreise von mainz bis köln” von johann august klein überarbeitet und erweitert um die routen nach basel und rotterdam neu heraus. dieses buch gilt als “der erste baedeker“ und stieß auf großes interesse. schließlich hatte wenige jahre zuvor der regelschiffsverkehr auf der strecke begonnen; das gehobene bürgertum bildete und vergnügte sich beim reisen, besucher aus dem ausland kamen, und im zentrum des ersten touristenbooms lag koblenz… vom ersten band an hatte “der baedeker“ den ruf, höchst verläßlich zu sein.

statt mit marktschreierei punktete er mit nüchternen fakten und einem schnörkellosen ton. um größtmögliche genauigkeit zu erreichen, wanderte und reiste baedeker selbst alle strecken ab, weil er informationen aus zweiter mißtraute. sechs monate im jahr war er unterwegs, und notierte alles akribisch, im winter verarbeitete er die notizen in neue reiseführer oder die x.te auflage bereits erschienener. laut seiner zeitgenossen war baedeker unbestechlich, er nahm keine geschenke an und ließ sich nicht einladen, dafür war er ausgesprochen pedantisch und ein „erbsenzähler“. im wahrsten sinne des wortes: zumindest erzählt eine anekdote, dass baedeker beim besteigen des mailänder doms auf jeder zwanzigsten stufe stehenblieb, und eine erbse von der westen- in die hosentasche wandern ließ. oben angekommen, zählte er die erbsen durch, multiplizierte sie mit 20, und machte beim abstieg die gegenprobe – alles, um in seinem reiseführer eine wirklich exakte stufenzahl angeben zu können. so erarbeitete baedeker sich auch internationalen ruhm und landete sogar im libretto einer humoristischen britischen oper: „for kings and governments may err // but never mr. baedeker“. baedeker revolutionierte die reiseliteratur, sein name wurde für lange zeit zum synonym für reiseführer schlechthin.

die detaillierten informationen ermöglichten dem publikum unabhängig ohne fremdenführer (baedeker: „schlepper”) unterwegs zu sein. baedeker („des reisenden praktisches bedürfnis ist des herausgebers erster zweck“) gliederte seine „handbüchlein” in „praktische hinweise“ (abfahrts- und öffnungszeiten usw.), „allgemeine übersicht“, “detaillierte beschreibung der merkwürdigkeiten“ und legte ihnen stadt- und streckenpläne bei. anfangs waren die bände gelb eingebunden, bald aber schon rot, und baedeker führte auch den stern ein, um besonders herausragende sehenswürdigkeiten und gasthöfe zu kennzeichnen (selbst spendierte er nur absoluten spitzenleistungen – wie dem kölner dom – zwei sterne). für die (deutschsprachigen) bildungsbürger war „der baedeker” ein absolutes muss und seine urteile heilige gebote (für „studiosus” ist er das wahrscheinlich immer noch). ludwig thoma: „es ist unglaublich, welchen moralischen zwang dieser baedeker mit seinen zwei kreuzen ausübt. er nötigt uns, minutenlang vor einem bilde zu stehen und mienenspiele zu betreiben. frau kommerzienrat nimmt ihren bleistift und streicht im baedeker das erledigte pensum durch…“ nun, solchen sarkasmus hat karl baedeker nicht mehr mitbekommen. als er 1859 gestorben war (drei seiner söhne setzten sein werk erfolgreich fort), berichtete die vossische zeitung: „dem trauerzug des hoch angesehenen koblenzer bürgers schloss sich unversehens ein des weges daherkommender fremder an. er trug, als vertreter aller baedeker-freunde, das vertraute rote büchlein in der hand, das zum unzertrennlichen begleiter von tausenden von reisenden geworden war.“

Titelbild: Bretter, die die Welt bedeuten. Spielend durch 2000 Jahre Köln
Foto rechts stehend: „Rheinreise von Straßburg bis Düsseldorf mit Ausflügen nach Baden […]“. Carl Baedeker und Johann Adolph Lasinsky (Herausgeber), Johann Baptist Augustin Klein (Verfasser). Koblenz, 1839. Leineneinband mit Originalpapierbezug, Papier, Druck, Lithografie
Foto links liegend: „Le Rhine de Bâle à Dusseldorf et excursions en Alsace […]“ (Rheinreise von Basel bis Düsseldorf). Carl Baedeker und Johann Adolph Lasinsky (Herausgeber). Koblenz, 1854. Leineneinband mit Originalpapierbezug, Papier, Druck, Lithografie.
Beide Bestand Kölnisches Stadtmuseum

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)